NordArt
Internationale Kunstausstellung | Büdelsdorf | 2019
Bild: Vater | 2019 | 200 x 480 cm | Öl auf Leinwand
Installation: Arag | Namuun Batmunkh
Foto: Conrad Pfüller
At these moments
Gan-Erdene Tsend & Orchibold Ayurzana
New York | United Nations | 2018
Fabric of Art
Ausstellungsvorbereitung in der
historischen Bandweberfabik Kaiser & Dicke
Wuppertal | 2019
Foto: Robert Pufleb
NordArt
Büdelsdorf 2019
Foto: Johanna Ahlmann
„munkh khukh tenger“
oder ewig blauer Himmel
Zur Malerei von Gan-Erdene Tsend
Wir flüsterten. Ganz leise und behutsam gingen wir ein wenig vom Ger-Camp in die offene Steppe. Es war angenehm heiß, ein leichter Wind wehte und der Himmel war gleißend blau. Die weißen runden Zelte der Nomaden duckten sich in die leicht geschwungene Hügellandschaft und es war weit und breit nichts zu sehen, kein Mensch oder Tier, kein Auto oder Vogel, kein Geräusch. Es war so wunderbar still, dass die eigene Stimme wie ein Schrei in der Wüste klang, wie ein Fremdkörper inmitten des gewaltigen Eindrucks gegenüber dieser unendlich scheinenden Landschaft und Natur, gegenüber dieser unfassbar ungewohnten Geräuschkulisse, die pure Ruhe war. Wir fühlten uns wie auf dem Mond, oder Mars, jedenfalls war das nicht die Erde, die wir kannten.
Als Reisende in der Mongolei weilten wir bereits eine Woche in der Hauptstadt Ulaanbaatar und hatten die Ausgrabungsstätten Kkarakhorum, für „schwarze Berge“, „schwarzer Fels“, „schwarzes Geröll“, die ehrwürdige Hauptstadt (1235–1260) des Mongolischen Reiches am Fuß des Changai-Gebirges besucht und das Polospiel im malerische Orkhon-Tal bestaunt. Dieses Tal ist eine beeindruckende Kulturlandschaft 300 km südlich von Ulanbataar aus sanften grünen Hügeln an den Ufern des Orkhon Flusses nördlich von Karakorum. Als ehemaliges Machtzentrum der Mongolen und Sitz der Hauptstadt Dschingis Khans beinhaltet das Orkhon-Tal prachtvolle Städte, Klöster und historische Artefakte – seit 1992 als 2.000 Jahre altes Nomaden-Land zum Welterbe der UNESCO.
Wir lieben dieses Land und die Menschen dort, ihre Kultur, die Nomaden wie die Städter – die Mongolei gilt als das dünnstbesiedelte Land der Erde. Es hatte uns vom ersten Moment an in den Bann gezogen.
Die Mongolei ist ein typisches Hochplateau mit einer durchschnittlichen Höhe von 1.600 m über dem Meeresspiegel. Zwei Drittel des mongolischen Territoriums sind ohne Abfluss in die Weltmeere. Durch das Land verläuft die Kontinentalwasserscheide Asiens vom Mongolischen Altai über das Tannu-Uul-Gebirge, den Khangai und die Ostmongolei zum Khingan und trennt die Entwässerungsgebiete zum Nordpolarmeer und zum Pazifischen Ozean vom zentralasiatischen Binnenentwässerungsgebiet. Die Landoberfläche zeichnet sich durch beeindruckende Vielfalt aus – undurchdringliche Wälder, hohe Berge, Flüsse, Seen und Waldsteppen im Norden und Nordwesten, weite baumlose Steppen, Wüstensteppen und Wüsten im Osten, Südosten und Süden, ewiges Eis und zahlreiche Gletscher in den Hochgebirgslagen des Mongolischen Altai, der sich im äußersten Nordwesten vom Russischen Altai löst und in Richtung Südosten in den Gobi-Altai übergeht. Im Mongolischen Altai finden sich außer Wüsten und Gebirgstaiga alle in der Mongolei vorkommenden Landschaftszonen: Wüstensteppe, Steppe, Gebirgssteppe, Gebirgswaldsteppe und die alpine Hochgebirgsregion.
In den Gemälden von Gan-Erdene Tsend finden sich all diese Eindrücke wieder. Seine Landschaften sind von einer beinah unerträglichen Leichtigkeit des Sein geprägt, von einer Art Anti-Gravitation durchzogen, die bei Menschen und Tieren meist in Rückenansicht über der materiellen Welt schweben. Die ewigen langen Fahrten über unbefestigte Straßen und die Orientierungslosigkeit inmitten GPS-freien Geländes jenseits der gewohnten Zivilisation faszinieren Touristen wie auch Künstlerinnen und Künstler, die jenseits der existentiellen Grundbedingungen der Nomaden diese Landschaften und ihre Menschen erleben und betrachten. „Heimweg“ ist ein Beispiel aus zahlreichen Querformaten, die nur die Pisten zeigen, die das weite Land durchziehen und den Pfaden der Tierherden eine zweite Fahrspur hinzufügen. Der Weg ist das Ziel und die Doppelspur der Piste das stundenlange Orientierungszeichen einer nahezu orientierungslosen Topographie. Das karge rauhe Leben mit klirrend kalten Wintern wie trocken heißen Sommer wird geprägt durch die Viehzucht von Pferden, Rindern, Ziegen, Schafen und Kamelen. In „Insel“ von 2020 steht eine Pferdeherde wie um eine Tränke eng gedrängt in der Leere, in einer spiegelnden, nackten weiten Szenerie. Isolation inmitten einer Gruppierung.
Beinahe surreal wirken auch die losgelösten Personen in seinen Gemälden im urbanem Kontext, die ebenfalls wie aus Raum und Zeit gefallen Menschen auf spiegelnden, flirrend heißen oder nassen Untergründen zeigen, die als Reflexionsebene mitunter optische Illusionen bergen, wie bei „Bridge“. Aber auch bei „dance“ von 2018 und noch deutlicher bei den Gemälden „Karussell“, 2018 und 2019, und „heroes“, 2016, werden die Kräfte der Gravitation durchbrochen und eine Leichtigkeit kommt ins Bild, die von der Freiheit und erstaunlicherweise Erdverbundenheit erzählen, die Gan-Erdene Tsend aus seiner Heimat Mongolei einprägsam erfahren hat. Das erkennbare New York, oder die Freiheitsstatue, stehen im komplementären Gegensatz zur menschenleeren Landschaft dort. Das gigantische, von dunstig Grau bis zum strahlenden Blau reichende Himmelszelt, mit einem ebenso beeindruckend sternenklaren Nachthimmel, ist auch im mongolischen Schamanismus ein fester Begriff. Der am meisten verehrte Gott ist neben anderen „Tenger“ (Himmel; Gott des Himmels) und wird auch manchmal als „munkh khukh tenger“ bezeichnet, was „ewig blauer Himmel“ bedeutet. So verwundert es nicht, dass in den Bildern von Gan-Erdene Tsend die Erde wie der Himmel in endlosen Perspektivfluchten und mit einer vollkommen natürlichen Unendlichkeit auf etwas unbestimmt Bestimmtes verweisen.
Der Wunsch nach einer totalen Versenkung in die Kräfte der Elemente und der Natur, einer einzigartigen Landschaft und der wenigen Menschen und Tiere in ihr, lässt uns innehalten und still werden. Demütig schauen wir in den Kräften der Malerei in ihre Wirkkraft, und ich glaube, man darf sagen in ihr Herz, in das Herz des Künstlers Gan-Erdene Tsend.
Dr. Gregor Jansen
Kunsthalle Düsseldorf